Am 23.Juni 2022 trafen sich 35 Journalisten der Immobilienszene und Immobilien-Ressortleiter einiger Publikumsmedien zur diesjährigen Sommertagung des immpresseclub e.V., der Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Immobilienjournalisten in Frankfurt. Dazu kamen geladene Gäste aus dem Kreis der Fördermitglieder sowie die geladenen hochkaratigen Referenten.
Gründer und Herausgeber des „Der Immobilienbrief“, Werner Rohmert, der seit 2004 Vorsitzender des immpresseclub e.V. ist, führte die Teilnehmer durch das Programm, das sich dieses Mal insbesondere mit den Vorboten der Krise, deren volkswirtschaftlichen Grundlagen und möglichen Auswirkungen beschäftigte. Nach Einschätzung der Teilnehmer steht uns – wenn es gut geht – mit Glück ein Softlanding bevor. Bei Wohnen ist die Szene dabei optimistischer als bei Gewerbe.
„Voraus in die Vergangenheit?“ fragte in seinen Einleitungsworten Werner Rohmert die Kollegen, die einen erheblichen Teil des deutschen Immobilienjournalismus repräsentieren. Auf jeden Fall sei eine Zeitenwende da, über deren erwarteten Verlauf allerdings zu diskutieren sei (vgl. Editorial). Zumindest werde die Branche wieder lernen, dass eine Immobilie eben nicht nur ein Datenraum sei. Wie schon zur BIIS Tagung fragte Rohmert, welcher „Crash“ der letzten Jahre NICHT als Softlanding prophezeit worden sei, und wie man den zyklischen Lemmingen der Immobilienwirtschaft die von hinten an die Klippe geschoben werden, die Bedeutung von Warnschildern beibringen könne. Grundsätzlich würden aus den „4D’s“, die unsere Zukunft überwiegend inflationstreibend bestimmen würden, Deglobalisierung, Dekarbonisierung, Demographie und Digitalisierung, ab jetzt wohl preistreibende „5D’s“, denn „Defense“ bzw. stark erhöhte Verteidigungsausgaben kämen hinzu (vgl. Traudt, BIIS). In Verbindung mit der Zinswende und den kurzfristigen Folgen der exogenen Angebots-Schocks durch Corona, Ukraine und Sanktionen bzw. Sanktionsreaktionen sei nach aller Logik mit einer brutalen Anpassungsrezession zu rechnen, sofern nicht die Notenbanken wieder versuchen würden, Konjunktur zu drucken. Mit einem Bremsseil die Konjunktur anzuschieben, hat sich aber schon lange als schwierig gezeigt. Und gegen eine angebotsinduzierte Inflation hilft auch keine Zinserhöhung. Eher müsste Liquidität bereit gestellt werden, um die Kostentreiber zu finanzieren. Aber das wäre das Gegenteil der Zinswende. Die Geldpolitik bleibt spannend, aber wohl auch hilflos.
Konjunkturelle Strukturkrise trifft Immobilienbranche verzögert
„Wir befinden uns nicht in einem Sturm, sondern in einem Tsunami“, schwor Professor Dr. oec. Hanspeter Gondring FRICS, Wissenschaftlicher Leiter und geschäftsführender Gesellschafter der ADI Akademie der Immobilienwirtschaft und Studiendekan an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart die Teilnehmer mit seinem Vortrag „Immobilienwirtschaft in turbulenten Zeiten“ auf die kommende Zeit ein. Exogene Schocks und mehrere volkswirtschaftliche Zyklen überlagern sich zum ersten Mal seit Jahrzehnten zu einer großen und langen Welle und damit zum ersten Mal seit dem Ende des 2. Weltkrieges in einer strukturellen Krise. Das Beben hat schon stattgefunden, der Tsunami kommt aber noch. Flach bleibt die Welle nur unter der Prämisse, dass sich der Ukraine–Konflikt nicht weiter ausweitet und Ende 2022 beendet ist. Für die Immobilienwirtschaft mit einem nachlaufendem Zyklus von 18 bis 24 Monaten ließe die Auswirkung der wirtschaftlichen Verwerfungen noch bis Ende 2023/Anfang 2024 auf sich warten. Denn anders als bei exogenen Schocks, in der die Wirtschaft in einer „V“-Kurve nach Problemlösung steil aus dem Tal der Tränen wieder emporschießt, müssten wir uns jetzt auf eine länger andauernde „U“-Entwicklung einstellen. Lindner spräche inzwischen schon von 5 Jahren. Rohmert erinnert sich an die „tote Dekade“ von 1994 bis ca. 2004. Mehr zu den Überlegungen, die den Softlanding-Optimismus der Branche auf die Probe stellen, wird uns Hanspeter Gondring in einer Analyse der Auswirkungen der volkswirtschaftlichen Rahmendaten auf den Immobilienmarkt zusammenstellen.
Unternehmer gestalten Chancen
„Wir treffen uns in schwierigen Zeiten. Seit Corona erleben wir alles Mögliche, nur eben keine Normalität.“ begrüßte Sonja Wärntges, die einen Tag nach der Veranstaltung für weitere 5 Jahre für das Amt als CEO der DIC Asset AG bestellt wurde (Glückwunsch dazu!), „Lassen Sie uns weiter auf die Veränderungs- und die Gestaltungskraft der Wirtschaft in unserem Land setzen“. Das Gebot der Stunde sei es, jetzt Verantwortung zu übernehmen. Insbesondere dann, wenn es um Nachhaltigkeit gehe. Das DIC Asset Ziel sei klar: CO2-Neutralität.
Denn der Klimaschutz und der Kampf gegen den Klimawandel seien die Megathemen der Menschheit. Und hier komme auf die Immobilienwirtschaft eine große Aufgabe zu. Ganz einfach, weil die Nutzungsdauer eines Gebäudes im Durchschnitt bei 80-100 Jahren liegt und damit die allermeisten Gebäude, die in Deutschland 2045 klimaneutral sein müssen. „Manage to ESG“ sei daher ein Riesenthema. Fakt sei: Die Sanierungsrate im Gebäudebestand liegt bei aktuell 1% im Jahr. Bliebe es bei dieser Rate, würden wir das 2045er CO2-Ziel in unserem Sektor grandios verfehlen, nämlich um viele, viele Jahrzehnte. Wie groß die Mammutaufgabe ist, verdeutlichte Sonja Wärntges anhand von Zahlen: In Deutschland gäbe es ca. 21 Millionen Gebäude. Der weit überwiegende Teil sind Wohngebäude, nämlich rund 19 Mio. mit 3,9 Mrd. qm Wohnfläche. Die anderen seien öffentliche und gewerbliche Gebäude, davon bilden Werkstätten und beheizte Industriegebäude, Bürogebäude, Hotel- und Gastronomiegebäude sowie Handel den größten Teil. Daneben gehörten aber auch Schulen, Kulturbauten, Kirchen und vieles andere dazu.
CO2-Neutralität in weniger als 25 Jahren in einem Sektor flächendeckend zu erreichen, in dem der übliche Lifecycle 100 Jahre beträgt, sei offenkundig eine Herkulesaufgabe. So maße Wärntges sich nicht an, zu beurteilen, ob dies vermessen oder mit einem Kraftakt gelingen könne. Natürlich sollte man auch nie die Möglichkeit von Ausgleichsmechanismen ausblenden, falls das Ziel innerhalb des Sektors nicht flächendeckend erreichbar sei. Die DIC Asset stelle sich aber ihrer Verantwortung und werde den CO2-footprint im eigenen Bestandsportfolio bis 2030 gemessenen an der Ausgangsbasis 2018 um 40% zu reduzieren. Schon bis 2023 soll der Anteil von Green Buildings im Bestandsportfolio bei 20% liegen.
Immobilienwirtschaft im Spannungsfeld der Kapitalanlage – Sicherheit bleibt ohne Chancen, Aktien und Wohnen positiv
Reinhard Panse, Chief Investment Officer des Family Office FINVIA, war von Werner Rohmert eingeladen worden, die breitere Sicht der Kapitalanlage im Wettbewerb mit der Immobilienanlage darzustellen. Panse ist der Finanzszene seit Jahrzehnten bekannt. Vor Gründung des Family Office FINVIA verantwortete er zuletzt als CIO und GF bei der HQ Trust, dem Multi Family Office der Familie Harald Quandt über 10 Mrd. Euro. Für die meisten Thesen ist der Platz zu knapp. Vielleicht schaffen wir das in einer separaten Berichterstattung in den kommenden Wochen.
Mit Blick auf die Kapitalanlage seien Staatsanleihen die falsche Idee – auch grundsätzlich. Kriege sind für Aktien wesentlich ungefährlicher als Staatsanleihen. Weltweit haben sich Aktien von 1900 bis 1984 ca. 40 mal besser entwickelt als Rentenanlagen (real nur +16%) (siehe Chart, Quelle: Dimson, Marsh and Staunton, Refinitiv, eig. FINVIA Berechnungen. Über die Dauerhaftigkeit der Inflation und die Inflationstreiber besteht weitgehend Einigkeit. Der Versuch, mit erneuerbaren Energien den zukünftigen Energieverbrauch zu erzeugen, sei Unsinn. Erneuerbare Energien (insbesondere Wind- und Sonnenenergie, Biogas und Wasserkraft) machen lediglich 6,8% des Energieverbrauchs in Deutschland aus. Der weitere Ausbau werde inflationstreibend wirken. Der Totalverzicht auf Öl, Kohle, Gas und auch noch Kernkraft werde sehr teuer. Zur Zinspolitik zeige die Historie, dass ein Bekämpfen der Inflation durch sehr hohe Zinsen kaum möglich sei. Ein Zinsniveau vom 9% sei nötig. Dies werde nicht durchsetzbar sein. Seit 2020 habe sich die Inflation vom anhaltend niedrigen Zinsniveau gelöst. Also würden auch längerfristig Zinsen nicht mehr an die Inflation herankommen. Allerdings sprächen Indizien dafür, dass der Gipfel der Inflation schon erreicht sei.
Seit 1970 haben Aktien mit 2% Performance pro Quartal die beste Performance erbracht. Renten, Gold und Wohnimmobilien lagen bei ca. 1,5%. Die aktuelle Flaute der fallenden Immobilienaktien bei stark steigender Inflation und schwach steigendem Zins sei nicht nachhaltig. Mit den steigenden Inflationserwartungen würden dann auch wieder die Immobilien in der Anlagegunst steigen. Hypothekenzinsen erklärten nur bei tiefen Zinsen die Mietrendite. Grundsätzlich sei der korrekte Bestimmungsfaktor der Mietrendite die Inflationserwartung der Anleger abgeleitet aus der historischen Inflation der letzten 10 Jahre. Inflationsbedingt stärker steigende Löhne alimentierten auch stärker steigende Mieten. In Deutschland erkläre statistisch der Realzins seit 1991 ca. 2/3 des jährlichen Gesamtertrages (Total Return aus Preisanstieg und Mietertrag). Verbleibe der deutsche Realzins im negativen Bereich, könne der jährliche Gesamtertrag bei über 8% p.a. bzw. mit Mietendeckel bei 6% liegen.
Insbesondere auch Aktien böten gute Chancen. Die Bewertung des deutschen Aktienmarktes läge heute auf dem Niveau von 1975, der Endphase der 1. Ölkrise sowie der weiteren Krisen auch mit weit höherem Zinsniveau als heute. Gesundheitssektor und REITs versprächen gute Perspektiven. Im Fazit erwartet Panse, dass die durch die Pandemie nochmals stark gestiegenen Schuldenberge in der nächsten Dekade dauerhaft tiefe Zinsen erzwingen würden. Der in den meisten Ländern sinkende Anteil der Arbeitskräfte wird sich durch höhere Sozialausgaben das Schuldenproblem und den durch lockere Geldpolitik steigenden Inflationsdruck im Verlauf der nächsten Dekade erhöhen. Der Putin-Krieg werde den Inflationsdruck zusätzlich durch westweltweite Aufrüstung erhöhen, auch wenn Putin längst Geschichte geworden sei. Ein neuer Kalter Krieg, NATO vs. China, werde die Globalisierung weiter schwächen. Das steigere die Inflationsrisiken. Damit sei klar, dass man mit risikoarmen Anlageformen (Geldmarkt, Renten) die Kaufkraft nicht mehr erhalten könne. Aktien, sonstige Unternehmensbeteiligungen, Immobilien und Gold seien außerhalb der USA immer noch kaum höher bewertet als in den letzten Jahrzehnten. Bei steigenden Inflationsraten, aber schuldenbedingt weiterhin tiefen Zinsen würden diese Anlageformen Renditen bieten, die deutlich über der künftigen Inflationsrate lägen, schlussfolgert Panse.
Menschen wohnen, arbeiten und kaufen auch in turbulenten Zeiten
Der neue Deutschlandchef von JLL, Konstantin Kortmann, beendete seinen Vortrag „Neue Herausforderungen für die Nutzermärkte“ mit der beruhigenden These, dass Menschen auch in turbulenten Zeiten wohnen, arbeiten und einkaufen werden – und das alles würden sie in Immobilen tun. Die Tatsache, dass es sich beim Immobilienzyklus um einen deutlich nachlaufenden Zyklus handele, konnte er mit dem aktuellen Zahlenwerk belegen. Die Nachfrage bei Gewerbeimmobilien zeigte sich in Q1 2022 gut erholt, und auch für Q2 deuten sich durchaus positive Zahlen an. In der Logistik-Industrie treibe das Geschäftsklima den Flächenumsatz. Um die anhaltende Flächenknappheit, die vom Nachfragemotor e-Commerce weiter gepusht würde, zu entspannen bedürfe es weiterer Brownfield-Entwicklungen. Im Einzelhandel zeige sich der Leerstand, abgesehen von dem Corona-Anstieg 2020, weiter auf dem schon jahrelang anhaltenden niedrigem Niveau stabil. Allerdings sei bereits jetzt im Anfangsstadium der Neustrukturierung der Innenstädte, schon ein Wandel der Nutzergruppen sichtbar. Unter dem Motto „Saft und Seife statt Socken und Schlips“ stieg der Anteil von Supermärkten, Discountern und Gastronomie am Vermietungsumsatz in Innenstädten in den vergangenen Jahren deutlich an. Das Top-Segment der vergangenen Jahrzehnte, Textil, wurde bereits deutlich auf Platz 2 verwiesen.
Zwar würden die Menschen weiterhin arbeiten (müssen), wie ihr zukünftiger Arbeitsplatz aber aussehen werde, stehe derzeit aber noch etwas in den Sternen. Der Arbeitskräftemangel nicht nur bei Fachkräften liegt auf Rekordhoch. Die aktuelle Berichterstattung vom Flughafen-Chaos, auch unsere eigenen Hotelerfahrungen, jeder Gastronomie-Besuch, jede Handwerker-Anfrage und die Baustellen-Berichterstattungen machen das deutlich. Lt. einer von Kortmann zitierten ManpowerGroup Untersuchung Ende 2021 klagten 69% aller befragten Unternehmen über Schwierigkeiten bei der Personalsuche. 2016 waren das nur rund 40%. Im Wettbewerb um die Fachkräfte bedarf es einiger Anstrengungen, die sich auch in der Gestaltung eines attraktiven Arbeitsplatzes niederschlägt. Neben einem ansprechenden, schicken Ambiente bedürfe es dazu auch Gesundheits- und Wellnessangebote, Nachhaltigkeitsanstrengungen und könne, so Kortmann schmunzelnd, auch in der Anlage eines Streichelzoos ausufern.
Auf den Top-Büroimmobilienmärkten sei seit längerer Zeit ein gleichzeitiger Anstieg von Leerstand und Spitzenmieten zu erkennen. Der Büro-Frühindikator, der ifo-Beschäftigungsbarometer für Dienstleister, zeige derzeit nicht an, dass es kurzfristig in diesem Segment zu einem Crash komme. Die Beantwortung der Frage, ob der Immobilienwirtschaft insgesamt ein „Crash“, oder vorsichtiger formuliert, ein deutlicher Einbruch der Mieten, Bewertungen und Auslastungen oder eine sanfte Zykluswende bzw. ein Softlanding bevorstehe oder ob es schnell so positiv weitergehe wie bisher, wich Kortmann verständlicherweise professionell und charmant aus.
Dieselbe Frage der Bandbreite zwischen starkem Einbruch, Softlanding oder anhaltendem Boom stellte der Vorsitzende des immpresseclub Werner Rohmert zum Abschuss auch den Journalisten. Die waren aber durch die volkswirtschaftlichen Einsichten eher skeptischer geworden. Außerdem reicht der durchschnittliche Erfahrungshorizont der Journalisten regelmäßig weit über den Erfahrungshorizont der meisten Branchenmatadore hinaus noch in schwierige Zeiten. Eine Fortsetzung des Booms sah keiner der anwesenden Journalisten. Bei WOHNEN erwarteten 12 der befragten eine harte Landung und 17 eine sanfte Zykluswende. Bei GEWERBE ging 21-mal der Daumen deutlich nach unten. Lediglich 6 erwarteten bei Gewerbe ein Softlanding-Szenario.